In diesem Artikel erfährst du, wie und warum Angst entstehen kann und welche Lösungsansätze es gibt. Um ein paar wissenschaftliche Begriffe kommen wir leider nicht ganz herum. Doch wenn du verstehst, wie Angst entsteht, dann wird es leichter für dich, deinem Hund zu helfen.

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Von einem Angsthund spricht man, wenn er ein oder mehrere Situationen in seiner Umwelt mit negativen Gefühlen wie Schmerz, Schreck, Angst oder Panik verknüpft hat, dass er keine gesunde Bewältigungsstrategie mehr dafür hat.
Solche negativen Verknüpfungen können in unterschiedlichen Situationen passiert oder auch nur ein einziges Erlebnis gewesen sein.
"Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten."
Zitat von Sunzi, chinesischer General und Militärstratege - Die Kunst des Krieges
Meistens kann man nicht mehr feststellen, was genau die Angst beim Hund verursacht hat. Insbesondere bei Hunden aus dem Ausland ist dies oft der Fall. Auch eine fehlende oder negativ geprägte Sozialisierung eines Welpen kann aus ihm später einen Angsthund werden lassen.
Gleiches gilt für Hunde, die in ihrer Prägephase nichts kennen gelernt haben. Welpen sollten
unterschiedliche Geräusche,
andere Hunde oder Tiere,
fremde Menschen,
angefasst werden,
Autofahren,
Großstadt,
Wohnungen oder Häuser,
Spaziergänge
und so weiter neutral oder besser noch, positiv erlebt haben. Ist dies nicht der Fall, so ist es später nur schwer möglich, diese Lücken zu füllen oder negative Erlebnisse zu neutralisieren oder gar mit positiven Gefühlen zu verbinden.
Einfluss der Prägephase
Im Alter von etwa 4 bis 16/18 Wochen befindet sich der Welpe in der sensiblen Phase, in der er besonders empfänglich und neugierig auf seine Umwelt reagiert. In dieser Phase werden soziale Kontakte und Umweltreize, mit denen der Hund in dieser Zeit neutrale oder positive Erfahrungen macht, in das Bild seiner normalen und nicht bedrohlichen Umwelt integriert. Die Phase beinhaltet die Prägung auf Dinge, Situationen, Lebewesen und Umweltreize.
Wenn ein Hund in dieser Zeit zu wenig oder gar nichts kennen lernt, können unbekannte Situationen später unter Umständen als Störfaktoren in seiner Umwelt betrachtet werden, die es zu vertreiben oder zu meiden gilt. Wichtig ist es, dem Hund zu jeder Zeit Sicherheit zu vermitteln.
Ängstliche Hunde erregen oft Mitleid bei ihren Menschen und in ihrer Umwelt. Wird ein Hund besänftigt oder beruhigt, wenn er Angstsignale zeigt, bestätigt man ihn für sein ängstliches Verhalten und verstärkt die bereits vorhandene Angst damit noch mehr.
„Klar, muss das schlimm sein, wenn mein Mensch mir Recht gibt, dass die Situation echt angsteinflößend ist.“.
Deine Gefühle wie Angst, Stress oder Unsicherheit werden auf deinen Hund übertragen. Allein dein Gedanke
,,Oh, da kommt ein LKW, hoffentlich hat er keine Angst und erschrickt nicht!“,
kann deinem Hund schon signalisieren
„Achtung! Hier passiert etwas, das gefährlich ist!“
Und schon hat der Hund Angst. Insbesondere bei Angsthunden solltest du sehr darauf achten, dass du Souveränität und Sicherheit ausstrahlst. Damit vermittelst du deinem Hund, dass du in der Lage bist, alle Situationen oder Probleme zu meistern. So kann dir dein Hund getrost die Verantwortung übertragen und überlässt dir die Lösung seines Problems.
Bei einem Angsthund musst du immer damit rechnen, dass er anders reagiert als ein Hund, der keine Ängste hat. Es ist möglich, dass ein Angsthund aus Panik schnappt oder sich aus seinem Geschirr oder Halsband windet und panisch wegläuft. Deshalb sollte der Hund doppelt gesichert werden, wenn du das Haus verlässt und ebenso bei Übungen.

Doppelte Sicherung bedeutet, die Leine an Geschirr und Halsband zu befestigen. Alternativ ist ein Sicherheitsgeschirr sinnvoll. Angsthunde neigen dazu, sich in Panik aus fast allem herauszuwinden, um sich so in einer Angstsituation loszureißen und wegzurennen. Das Einfangen danach ist eine große Herausforderung und sehr schwierig.
Mit einer doppelten Leinenführung ist das Führen und der Spaziergang für dich und deinen Hund etwas entspannter. Du solltest deinem Hund nicht ständig sein Halsband oder Geschirr an- oder ausziehen, wenn er dir noch nicht vertraut.
Eine Hausleine, also eine kurze, leichte Leine, welche der Hund im Haus trägt, ist hilfreich, weil du den Hund nicht direkt anfassen musst, wenn du ihn von etwas abhalten möchtest oder ihn in sein Körbchen schicken.
Beschwichtigungssignale
Hunde meiden in der Regel Auseinandersetzungen, wo es nur geht. Meistens streben sie Harmonie an und keinen Kampf. Deshalb zeigen Hunde Beschwichtigungssignale, die dazu dienen, Spannungen abzubauen und Konflikte effektiv zu entschärfen. Hunde setzen Beschwichtigungssignale sowohl gegenüber anderen Hunden als auch gegenüber Menschen und anderen Tieren ein.
Die momentane Stimmung deines Hundes kannst du durch genaues Beobachten seiner Beschwichtigungssignale und der jeweiligen Situation in dem Moment feststellen. So kannst du brenzlige Situationen schon im Vorfeld entschärfen. Beschwichtigungssignale sind in fast allen Lebenslagen zu beobachten und werden in unterschiedlichsten Situationen gezeigt.
Zu rasche und zu direkte Annäherung: Der stehende, wartende Hund signalisiert dem sich nähernden Hund durch Wegdrehen, sein Tempo zu verringern und sich nicht frontal, sondern seitlich im Bogen zu nähern, wie es freundlich wäre. „Hey, benimm dich bitte wie es sich gehört, wenn du dich mir näherst. Ich habe kein Interesse an Streit.“.
Hundebegegnung: Durch Veränderung von Körperhaltung, Ohrstellung oder durch Herunterbeugen sendet ein ranghöherer Hund Beschwichtigungssignale aus, um einem unsicheren oder ängstlichen Hund zu signalisieren, dass keine Bedrohung von ihm ausgeht. „Hey, ich bin friedlich gesinnt, von mir geht keine Gefahr aus.“.
Fotografieren: Du möchtest ein Portraitfoto von deinem Hund machen? Möglicherweise empfindet er es als Bedrohung, wenn du die Kamera auf sein Gesicht richtest. Er blinzelt, dreht den Kopf weg und gähnt. Das sind typische Beschwichtigungssignale. Meine Changa hatte regelrecht Stress, wenn man sie fotografieren wollte.
Ängstliche oder panische Reaktionen
Hunde lernen vor allem über die Verknüpfung von Empfindungen mit Situationen, Dingen und Lebewesen. Als Folge läuft das Programm Angst dann in ähnlichen Situationen sozusagen automatisch ab. In der Wildnis macht dieser Mechanismus durchaus Sinn. So lernen wildlebende Tiere, vor welchen Dingen und Situationen sie sich in Acht nehmen müssen.
Tiere lernen das Überleben unter anderem durch das Hilfsmittel Angst. Wir unterscheiden zwischen nützlichen und behindernden Ängsten. Nützlich ist, wenn ein Hund in südlichen Ländern Angst vor Schlangen hat oder ein freilaufender Hund wegläuft, wenn ein Auto schnell auf ihn zu fährt. Behindernd ist Angst, wenn Fehlverknüpfungen stattgefunden haben.
Beispiel für Fehlverknüpfung: Der Hund sieht Vieh, läuft dort hin, berührt dabei einen Weidezaun und bekommt einen elektrischen Schlag. Er hat im Anschluss daran Angst vor dem Vieh, weil seine Aufmerksamkeit zu dem Zeitpunkt auf sie gerichtet war. Er verknüpft es aber nicht mit dem Zaun, der die eigentliche Ursache für den Schmerz war, sondern mit dem Vieh.

Angst ist eine Warn- und Schutzfunktion und führt zur Vermeidung von unangenehmen oder gefährlichen Situationen. Sinn dieses Gefühls ist, die eigene körperliche Unversehrtheit und das Überleben zu sichern. Angst ist ein Gefühl, das sich schwer definieren lässt. Es ist eine natürliche Reaktion auf eine entweder schon eingetretene oder noch zu erwartende Bedrohung.
Deshalb ist es völlig normal, wenn der Hund auf eine - aus seiner Sicht - bevorstehende Gefahr oder Bedrohung mit Angst oder Panik reagiert. Ein Hund, der so reagiert, handelt aus seiner Sicht richtig, weil er die Situation nicht kontrollieren kann. Er wird durch seinen Instinkt also zum Handeln gezwungen.
Dass der Hund „kopflos" reagiert, sich selbst nicht mehr kontrollieren kann, panisch davonläuft oder sich aggressiv auf die vermeintliche Gefahr stürzt, ist nachvollziehbar. Er kann in diesem Moment einfach nicht anders.
Ist die Gefahr oder Bedrohung vorüber, ist der Hund dennoch in einer starken Erregung oder in seiner Angst gefangen. Eine Kleinigkeit genügt dann bereits, um den Hund in den vorherigen ängstlichen, panischen Zustand zurückfallen zu lassen.
Furcht, Angst und Phobien
Phobien sind Angstzustände vor bestimmten Dingen. Die Phobie ist eine zeitlich kurzfristige Reaktion der Angst vor einem genau definierten tatsächlichen Reiz, wie zum Beispiel Menschen, Hunde, Tiere, Gegenstände, Geräusche oder Gerüche.
Kennzeichnend für eine Phobie ist, dass der Gegenstand oder die Situation, die mit Angst besetzt ist, eigentlich keine Gefahr darstellt. Phobien sind verhältnismäßig einfach zu therapieren, denn alles Erlernte kann auch wieder verlernt werden. Trotzdem braucht es sehr viel Geduld, eine Phobie zu therapieren. Eine Phobie, die nicht oder falsch behandelt wird, kann weitreichende Folgen haben und sich im Laufe der Zeit steigern.
Furcht ist eine schwach ausgeprägte Verhaltensreaktion des Hundes auf einen bekannten oder unbekannten Reiz. Der Hund betrachtet diesen Reiz zwar mit Skepsis, betrachtet ihn aber als wenig gefährlich. Hier ist der Hund psychisch und körperlich in der Lage, den Reiz entweder zu erforschen oder eben zu flüchten.
Angst dagegen ist eine heftige Verhaltensreaktion auf einen bekannten oder unbekannten Reiz, den der Hund als sehr gefährlich ansieht. In dieser Situation ist der Hund weder psychisch noch körperlich zur Erforschung oder Flucht fähig. Er befindet sich aus seiner Sicht in einer ausweglosen Lage.
Ängstlichkeit ist ein andauernder diffuser Zustand von Angst vor minimalen Reizen in der Umwelt. Er ist verbunden mit Vorahnung und folglich übersteigerter Wachsamkeit gegenüber kleinsten Veränderungen in der alltäglichen Umgebung. Man denke an den berühmten Mann mit Hut, der an sich völlig ungefährlich ist, der Hund stuft ihn aber, aus welchen Gründen auch immer, als gefährlich ein. Oftmals sind vorherige negative Erlebnisse der Grund für die Angst.
Je nach Ausprägung der Angst reagieren Hunde sehr leicht reizbar und aggressiv, befinden sich in einer ständigen Verteidigungshaltung gegenüber ihrer als feindlich scheinenden Umwelt und suchen Entlastung in Ersatzhandlungen wie übermäßigem Trinken, Fressen, Pfoten lecken, buddeln, Gras rupfen, sich selbst verletzen durch benagen oder auch in einer übersteigerten Bindung an ihren Menschen.
Angstsymptome
Speicheln
Hecheln
Erhöhte Herzfrequenz
Schwitzen an den Pfoten
Emotional bedingter Harn- und Kotabsatz
Entleeren der Analbeutel
Schwanz einziehen
Zittern
Erbrechen
Durchfall
Einfrieren
Nervös umherlaufen
Generalisierte Angst:
In diesem Zustand hat der Hund gelernt, dass einfach alles im Leben bedrohlich ist. In eine generalisierte Angst können Hunde geraten, wenn bei ihnen das Reaktionssystem Angst so häufig hintereinander ausgelöst wurde, dass es schon bei sehr geringen Anlässen in Gang kommt. Diese Hunde zu therapieren ist, abhängig vom Alter des Hundes und der Heftigkeit des Angstzustandes, sehr schwierig und manchmal sogar unmöglich.
Bei sehr sensiblen Hunden können negative Erfahrungen und Traumata zu Selbstläufern werden, die immer neue, negative Verknüpfungen entstehen lassen. Nach und nach werden immer mehr Bereiche im Alltag des Hundes mit Angst besetzt, so dass es zunehmend unmöglicher wird, die Angst durch Meidung bestimmter Situationen zu verhindern.
Desensibilisierung - Ein Beispiel
Du kannst deinem Hund jedoch helfen, seine Ängste zumindest zu lindern, erträglicher zu machen oder zu überwinden. Dazu muss dein Hund lernen in wiederkehrende Situationen lernen, diese für sich als gefahrlos einzustufen.
Beispiel: dein Hund hat Angst vor dem Staubsauger. Platziere den Staubsauger für deinen Hund sichtbar, aber weit genug weg von ihm. Dort bleibt er einfach stehen und es passiert nichts.
Erträgt dein Hund die Anwesenheit des bösen Ungetüms nach ein paar Minuten, Stunden oder Tagen, kannst du beginnen, den Staubsauger zu bewegen, aber ohne ihn anzumachen. Bewege den Staubsauger nur so leicht, wie es dein Hund noch aushält. Ist dein Hund einigermaßen entspannt, dann stellst du das Ungetüm weg.
Dein Hund wird vermutlich erleichtert sein. Das nennt man negative Verstärkung. Der Hund wird für sein Verhalten, die Situation einigermaßen ausgehalten zu haben, dafür belohnt, dass der angstbereitende Staubsauger verschwindet.
Auf diese Weise steigerst du den Schwierigkeitsgrad langsam, bis du letztendlich staubsaugen kannst, ohne dass dein Hund in Angst und Panik gerät. Diesen kompletten Vorgang nennt man Desensibilisierung. Das braucht Zeit und kann Tage, Wochen oder gar Monate dauern. Hab also viel Geduld und freue dich über jeden noch so kleinen Fortschritt.
Wie auch ein Angsthund zu einer coolen Socke werden kann, kannst du in dieser Geschichte nachlesen.
Hole dir Rat von einem Hundetrainer
Natürlich darf es auch eine Hundetrainerin sein. Meine Güte, dieses Gendern stellt für das Schreiben eine zusätzliche Herausforderung dar... Nun ja, zurück zum Thema.
Es gibt zig Foren, Facebook-Gruppen und sonstige Möglichkeiten, um Rat zu fragen. Oft bekommt man auch wirklich gute Tipps und Ratschläge. Doch es handelt sich immer um Ferndiagnosen, selbst wenn sie von einem Hunde-Profi kommen.
Man muss immer - Immer! - den Hund nebst Herrchen, Frauchen und Diverschen live erleben, um sich ein Bild zu machen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der Umgang mit Angsthunden sehr viel Geduld, Einschränkungen und vor allem Fachwissen über das Lernverhalten und die Körpersprache des Hundes braucht.
Wenn du einen Angsthund hast, aber wenig Erfahrungen mit Angsthunden, dann empfehle ich dir dringend, eine gute Hundeschule zu konsultieren. Auf eigene Faust "herumzuprobieren" ist keine gute Idee. Investiere neben Zeit und Liebe auch ein paar Euros für eine gute Hundeschule.
Fazit
Bei Angsthunden liegt der Fokus nicht auf "Sitz, Platz, Hier!", sondern auf "Mein Hund hat mich abgeleckt!" oder "Hurra! Er hat ein Leckerchen aus meiner Hand genommen!". Oder so ähnlich ;-)
Ich wünsche dir ganz viel Geduld und Erfolg bei deinem Anti-Angst-Training.
Hast du selbst einen Angsthund? Ich freue mich über deine Erfahrungen. Schreibe gerne einen Kommentar.
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